Eine Fokussierung auf den Bestand und dessen Optimierung ist notwendig, um die klimapolitischen Ziele der Bundesregierung zu erreichen.
Ingenieure: Zentrale Akteure der Baukultur
Von Reiner Nagel
Ohne die technischen Meisterleistungen der Ingenieurbaukunst, ohne eine kluge Planung von Infrastrukturen oder die Weiterentwicklung von Baupraxis und -produkten kann keine gute Baukultur entstehen.
Schon seit Vitruv gilt, dass Gebäude und Bauwerke „nützlich“, also funktional und effizient, „haltbar“, also dauerhaft und für den Zweck klug konstruiert sowie „schön“, also gut gestaltet sein müssen. Für eine so definierte hochwertige Baukultur, als Gemeinschaftsleistung einer Vielzahl von Beteiligten, spielt das Ingenieurwesen selbstverständlich eine zentrale Rolle.
Ingenieure sind zentrale Akteure der Baukultur. Der Begriff Baukultur ist vielschichtig und umfasst über die Gestaltung von Bauwerken hinaus auch den Städte- und Siedlungsbau, die Gestaltung von Landschaften und Infrastrukturen sowie öffentlichen Räumen: Baukultur betrifft die Summe aller menschlichen Tätigkeiten, die unsere gebaute Umwelt gestalten.
Ihre Qualitäten entstehen im Regelfall dort, wo alle im Prozess und an der Wertschöpfungskette beteiligten Akteure über baukulturelle Kenntnisse verfügen und professionell zusammenarbeiten. Ohne die technischen Meisterleistungen der Ingenieurbaukunst, ohne eine kluge Planung von Infrastrukturen oder die Weiterentwicklung von Baupraxis und -produkten kann keine gute Baukultur entstehen.
Fokus Bestand In den kommenden Jahrzehnten wird für alle Bauschaffenden eine große Aufgabe im Umgang mit dem Bestand liegen. Bereits heute kommen auf jeden Bundesbürger rund 360 Tonnen verbautes Material in Gebäuden und Infrastrukturen. Das entspricht dem Gewicht zweier Jumbojets oder eines vollbesetzten ICE. Wohlgemerkt: pro Einwohner! An diesem Bild wird die Größe der Aufgabe, aber auch die Verantwortung für die bestehende gebaute Umwelt deutlich. Eine Verantwortung, die wir nicht ausblenden können und dürfen.
Zwei Drittel aller Bauleistungen hierzulande werden schon jetzt in den Bestand oder dessen Sanierung, Umbau und Erweiterung investiert – Tendenz steigend. Vor diesem Hintergrund wird die Frage nach dem Umgang mit unseren gebauten Lebensräumen immer drängender, denn Bestandsarchitekturen und -infrastrukturen sind nicht nur kulturell bedeutend: Sie verfügen über soziale, ökologische und ökonomische Werte, in denen der Schlüssel für eine zukunftsweisende Baukultur liegt.
Eine Fokussierung auf den Bestand und dessen Optimierung ist notwendig, um die klimapolitischen Ziele der Bundesregierung zu erreichen.
FOKUS BESTAND
Und das zuzüglich zum Einsatz von umweltfreundlichen und nachhaltigen Produkten, effizienten, umweltverträglichen Bauverfahren und -techniken sowie innovativer Technologie und Robotik. Alles Entwicklungen, die maßgeblich von Ingenieuren vorangetrieben werden.
Der geringere Einsatz von Primärenergie und der Erhalt vorhandener grauer Energie ist bei der Sanierung von Bestandsgebäuden der entscheidende Faktor für eine häufig sehr viel bessere Energieeffizienz, als ein Neubau selbst als Passivhaus sie erreichen kann.
Auf Gebäudeebene zählen die Umnutzung und der Umbau vorhandener Bausubstanz immer noch zu den effektivsten ressourcenschonenden Maßnahmen
Baukultur entsteht erst durch interdisziplinäre Zusammenarbeit, ganzheitliche und integrale Planung und eine starke Gemeinschaft unter den Ingenieuren.
VERLUST IMMATERIELLER WERTE
Der Abriss sollte demzufolge aus baukultureller Sicht eher die Ausnahme sein. Er ist deutschlandweit aber die Regel: 64 Prozent der Kommunen gaben in einer Kommunalumfrage im Auftrag der Bundesstiftung Baukultur an, in den letzten fünf Jahren Gebäude aufgrund unpassender Grundrisse oder Gebäudezuschnitte abgerissen zu haben. 47 Prozent schätzen, dass der Abriss aufgrund von Investorendruck erfolgt sei, also wegen scheinbar oder tatsächlich problematischer Flächeneffizienz. Oder weil Neubaueinfacher und kostensicherer ist als Umbau. In einigen Fällen ist diese Entscheidung sicher sachgerecht, insbesondere wenn sie auf abgewogenen Voruntersuchungen basiert. Häufig ist die Entscheidung zum Abriss aber ein Schnellschuss. Das Resultat ist nicht nur die Aufgabe von in Gebäuden gebundenen Baustoffen, sondern häufig auch der Verlust immaterieller Werte.
Der Leistung von Ingenieuren kommt hier eine besondere Bedeutung zu. Denn oft sind sie es, die über den Wert eines Bestandsgebäudes und dessen Restlebensdauer entscheiden. Wer hier den Bestand nicht nur sachlich bewertet, sondern im Idealfall eine Option für dessen Instandsetzung oder intelligente Weiternutzung anbietet, kann Bauherren den entscheidenden Impuls für den Erhalt liefern.
Kluge Lösungen und unkonventionelle Denkweisen sind gefragt, um für jede Situation eine angemessene Antwort zu finden. Das gilt für den Neubau ebenso wie für den Bestand.
Rücken stärken, Berufsbild schärfen, Dialog fördern
Ingenieuren den Rücken zu stärken bei der Bewältigung dieser Herausforderungen, ist eine der zahlreichen Leistungen der Ingenieurkammer. Dass der Beruf des Ingenieurs national und international immer noch eine hohe Anerkennung genießt und mit hochwertigem Planen und Bauen in Verbindung gebracht wird, ist ein Verdienst der Kammern, die das Leistungsbild des Ingenieurberufes schärfen, es außerhalb der Fachkreise vertreten und auch gegen anderslautende politische Bestrebungen wahren. Indem sich die Brandenburgische Ingenieurkammer umfassend für die Ziele der Ingenieurbaukunst und Baukultur einsetzt und innerhalb ihrer Mitglieder Austausch und Fortbildung fördert, trägt sie Sorge dafür, dass sich das Berufsbild weiterentwickelt und den Anforderungen zukünftiger Aufgaben gewachsen ist.
Baukultur entsteht allerdings erst dann, wenn nicht nur die Gemeinschaft innerhalb der Ingenieure stark ist, sondern wenn interdisziplinär zusammengearbeitet und dadurch eine ganzheitliche und integrale Planung erreicht wird. Der Kreislauf von Entwickeln über Planen, Bauen und Betreiben bis zum erneuten Entwickeln, angepasst an neue Bedarfe, muss von allen Beteiligten auf Augenhöhe gestaltet werden.
Hier leistet die Brandenburgische Ingenieurkammer auch als Kommunikationsplattform einen wertvollen Beitrag. Ob als Teil interdisziplinärer Netzwerke, wie des Netzwerks Baukultur oder des Ländernetzwerks Baukultur der ostdeutschen Flächenländer, als Mitausloberin des Brandenburgischen Baukulturpreises oder als eine der Initiatorinnen der gemeinsam mit der Architektenkammer Brandenburg und dem Ministerium für Infrastruktur und Landesplanung im Frühjahr 2019 gegründeten Baukulturinitiative Brandenburgs. Die Bundesstiftung Baukultur wünscht der Brandenburgischen Ingenieurkammer weiterhin viel Erfolg dabei, die Baukultur Brandenburgs zu stärken, indem sie die Akteure der Baukultur in Brandenburg vernetzt, den Dialog untereinander befördert und die baukulturellen Leistungen aller Beteiligten für die Öffentlichkeit sichtbar macht.