Es gab eine Vision, wohin wir wollten
Von Gründungsschmerz, Nachwuchssorgen
und Identitätsbewusstsein
Ein Gespräch mit Erika Burmeister, Dr. Wilfried Mollenhauer, Joachim Mösch, Wieland Sommer, Erhard Schönefeldt und Matthias Krebs
Wie erlebten Sie die Zeit der Gründung? Welche Ereignisse sind für Sie immer noch präsent?
Wie erlebten Sie die Zeit der Gründung?
Welche Ereignisse sind für Sie immer noch präsent?
Burmeister: Mit der Anordnung über die Zulassung privater Architekten und Ingenieure der letzten DDR-Regierung war mit Unterstützung der alten Bundesländer erstmalig die Möglichkeit geschaffen, dass Architekten und Ingenieure freischaffend (freiberuflich) und selbständig tätig sein konnten sowie sich in privaten oder genossenschaftlichen Büros, in Kapital- oder Personengesellschaften zu organisieren. Das betraf 5.000 private Ingenieure aus allen Fachbereichen – etwa 2.400 davon bauvorlageberechtigte Ingenieure – und etwa 800 Architekten.
Dr. Mollenhauer: Es gab eine innerdeutsche Zusammenkunft der Ingenieurverbände (ZBI), die in Potsdam stattfand. Nach der negativen Abstimmung zu einer gemeinsamen Kammer von Architekten und Ingenieuren wollten wir unter Federführung des Wirtschaftsministeriums eine eigenständige Kammer für alle. Leider haben uns nicht alle Minister anfänglich unterstützt. Unterstützung fand sich aber im Parlament. 1993 haben wir Mitglieder gesammelt. Die erste Vollversammlung am 17. Dezember 1994 ist aber die eigentliche Geburtsstunde der Kammer.
Sommer: Alle Signale waren auf Aufbruch gestellt. Auch im Ingenieurwesen, denn die volkseigenen Projektierungseinrichtungen waren schon oder befanden sich in der „Abwicklung“. Abteilungen „gründeten“ sich aus und wurden kleine private Büros. Neue Bauvorhaben waren wenig am Markt. Dagegen waren Fachwissen und berufliche technische Erfahrungen in großem Maße vorhanden. Es war die Stunde Null.
Schönefeldt: Ich war 1990 Geschäftsführer der Kammer der Technik (KdT) und bekam eine Einladung in die Zentralstelle der KdT in Berlin. Ein Vertreter der hessischen Ingenieurkammer hielt dort einen Vortrag. Da ist der Funke gezündet worden, auch bei Achim Mösch.
Mösch: Viele Weichen wurden damals gestellt, die Ingenieuren Sicherheit geben und eine Basis schaffen sollten, um in der neuen Gesellschaft arbeiten zu können.
War alles Kampf und Krampf oder erinnern Sie sich auch an lustige Anekdoten aus der Gründungszeit bis 1994?
War alles Kampf und Krampf oder erinnern Sie sich auch an lustige Anekdoten aus der Gründungszeit bis 1994?
Dr. Mollenhauer: Wir haben ernsthaft gearbeitet, aber nicht griesgrämig. Es gab eine Vision, wohin wir wollten. Dafür haben wir uns eingesetzt, zunächst im Gründungsausschuss, der alle Formalitäten regeln musste.
Burmeister: Die Zeit war geprägt vom Willen zum Aufbau neuer Strukturen und zur Gestaltung auch der persönlichen Arbeits- und Lebensbedingungen. Alle haben Ideen eingebracht, nach besten Lösungen gesucht – ob Architekten oder Ingenieure, Ausschüsse, Ämter, Ministerien oder Landtag. Wenn es den Begriff „Denkfabrik“ damals schon gegeben hätte, hätte er vielfach seine Berechtigung für diese Ära gehabt.
Sommer: Anfang 1995 hatten wir etwa 500 Mitglieder. Am Jahresende schon 1.000. Zu diesem Zeitpunkt und noch einige Jahre danach waren drei Eintragungsausschüsse und die Mitarbeiterinnen der Geschäftsstelle damit beschäftigt, die Berge von Anträgen zu bearbeiten, Urkunden und Stempel auszufertigen und alles ordnungsgemäß auf den Weg zu bringen.
Wie erinnern Sie sich an die Wahl des Vorstandes?
1994 wurde die Kammerarbeit durch die 1. VV in Gang gesetzt.
Wie erinnern Sie sich an die Wahl des Vorstandes?
Mösch: Dr. Mollenhauer und ich haben uns unter vier Augen verständigt. Mein Verhältnis zu einigen Personen im Landtag war belastet, das wäre in der Zusammenarbeit schwierig geworden. Ich wollte deshalb nicht an der Spitze stehen. Dr. Mollenhauer war genau der richtige Mann dafür. Ich wollte mit den Mitgliedern arbeiten und war viel unterwegs, habe Weiterbildungen gemacht.
Dr. Mollenhauer: Die Wahl war harmonisch. Damals wurde noch nach Bezirksgliederung gewählt. Damit kein Bezirk zu schwach vertreten war, bekam jeder der ehemaligen Bezirke einen Stellvertreter. Die Zeit des Arbeitskreises zur Gründung und des Gründungsausschusses war wirklich die spannendste.
Wie würden Sie das anfängliche Verhältnis zu Ihren Aufsichtsministerien beschreiben?
Wie würden Sie das anfängliche Verhältnis zu Ihren Aufsichtsministerien beschreiben?
Sommer: Die BBIK war immer zwei Ministerien unterstellt. Für das Bauvorlagerecht war das Ministerium für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr zuständig. Die Rechtsaufsicht übernahm das Wirtschaftsministerium. Mir war immer die Nähe zu den Mitgliedern der Kammer wichtig, aber auch zu den Einrichtungen und Organisationen, die für ein funktionierendes Kammerwesen unerlässlich sind. Die Kammer mit ihren Repräsentanten einschließlich der Geschäftsstelle ist aber vorrangig Dienstleister für die Mitglieder. Das ist manchmal ein schwieriger Spagat!
Dr. Mollenhauer: Wir haben inzwischen gute und für die BBIK sinnvolle Kontakte zum Landtag und seinen sachrelevanten Abgeordneten und Regierungsmitgliedern.
Was waren für Sie bedeutende berufspolitischen Erfolge?
Was waren für Sie bedeutende berufspolitischen Erfolge?
Sommer: Bedeutend war die Novellierung der Brandenburgischen Bauordnung und damit die Änderung des Ingenieurgesetzes 2009. In diesem Zusammenhang wurden uns weitere Arbeitsfelder übertragen – vor allem im Prüfsachverständigenwesen. Andere markante Erfolge sind beispielsweise die Schaffung regionaler Mitgliederversammlungen, die Forcierung der Öffentlichkeitsarbeit, der Brandenburgische Baukulturpreis. Auch die Fachexkursionen, die seit 1997 in die Türkei, nach Ägypten, Kanada, China, Frankreich, Spanien, ins Baltikum, nach Island, Schottland und Vietnam führten.
Dr. Mollenhauer: Die enge Zusammenarbeit mit den Ingenieurverbänden und –vereinen (Ingenieurrat) und die Entwicklung typischer Kammerveranstaltungen wie dem Kammertag, dem Sachverständigentag, dem Neujahrs- Frühlingsempfang oder dem Objektplanertag oder die Weiterbildungsmaßnahmen, die teilweise auch von Mitgliedern anderer Ingenieurkammern genutzt wurden, sind große Erfolge. Auch unser aktives Wirken im Rahmen der Stiftung Baukultur und in der Nachwuchsförderung empfinde ich als Erfolg.
Welche Vorhaben und Pläne konnten nicht umgesetzt werden?
Welche Vorhaben und Pläne konnten nicht umgesetzt werden?
Dr. Mollenhauer: Die Einführung einer Pflichtmitgliedschaft für alle Bauvorlageberechtigten bei Kammergründung.
War das Verhältnis zwischen Pflichtmitgliedern und freiwilligen Mitgliedern immer harmonisch?
War das Verhältnis zwischen Pflichtmitgliedern und freiwilligen Mitgliedern immer harmonisch?
Sommer: Ingenieur ist nicht gleich Ingenieur. Es war immer ein filigranes Gleichgewicht, innerhalb und außerhalb der Kammer, das ständig justiert wurde. Dabei ging es immer um Rechte, Pflichten, Beiträge oder Ähnliches. Über die Jahre haben wir erfolgreich Prozesse und Strukturen etabliert, die dabei helfen, Gleichberechtigung zwischen den unterschiedlichen Gruppen zu wahren.
Krebs: Viele freiberufliche Ingenieure hätten gern den Status des Beratenden Ingenieurs, sind aber freiwilliges Mitglied, um Beiträge zu sparen. Das Ungleichgewicht in der Mitgliedschaft war zeitweilig so ungesund, dass es Diskussionen gab. Inzwischen ist das lange geregelt. Bauvorlageberechtigte Nichtmitglieder sind entweder in die normale Mitgliedschaft gerutscht oder haben die Bauvorlageberechtigung abgegeben. Die Diskussion zwischen Beratenden Ingenieuren und Freiwilligen Mitgliedern ist beendet. Das ist nicht in allen Länderkammern so.
Gab es auch Herausforderungen beim Thema Sachverständige?
Gab es auch Herausforderungen beim Thema Sachverständige?
Dr. Mollenhauer: Die Hürden sind hoch, die Regularien schwierig. Deshalb finden sich immer weniger Leute, die Sachverständige werden wollen. Viele trauen es sich hauptberuflich nicht mehr zu. Aber wer das nicht hauptberuflich macht, bleibt nicht up to date. Es gibt einen Unterschied, ob man ein Gebäude plant oder nach Ursachen von Schäden sucht.
Krebs: Die Ingenieurkammer Sachsen hat es schriftlich im sächsischen Ingenieurgesetz: Sie ist zuständig für die Bestellung von Sachverständigen mit Ingenieurabschluss. Wir haben bei einem Gespräch mit dem Präsidenten der IHK den Wunsch geäußert, dass alle Ingenieure mit Bestellung zum Sachverständigen bei der Kammer gelistet werden.
Welche Anreize gab und gibt es für junge Leute, Schüler, Studenten, sich dem Ingenieurberuf zuzuwenden?
Welche Anreize gab und gibt es für junge Leute, Schüler, Studenten, sich dem Ingenieurberuf zuzuwenden?
Sommer: Ein Nachwuchsproblem gab es immer. Wir machen uns ständig Gedanken, wie man die nachfolgenden Generationen begeistert. So entstand die Idee, in die Schulen zu gehen. Aber der Schülerwettbewerb ist nur eine Sache. Wir freuen uns, dass er fast deutschlandweit durchgeführt wird, aber das Problem insgesamt löst sich so nicht. Man muss mehrgleisig fahren. Früher war jedes Vorstandsmitglied für eine Hochschule bzw. Universität zuständig, was sich bewährt hat. Es ist eine Überlegung wert, einen Ingenieurpreis durch die Kammer zu stiften. Auch über die Medien, müssen wir uns besser darstellen.
Krebs: Das ist tatsächlich eine gute Idee, denn der Baukulturpreis ist zwar inzwischen eine Institution, wir als Ingenieure sind dort aber in der Minderheit. Er wird von Architekten dominiert. 2017 gab es bei 35 Projekten nur zwei Ingenieureinreichungen.
Identitätsbewusstsein und Selbstvertrauen von Ingenieuren? Wie wollen sie das beeinflussen?
Identitätsbewusstsein und Selbstvertrauen von Ingenieuren?
Wie wollen sie das beeinflussen?
Dr. Mollenhauer: Ingenieure neigen dazu, sich zurückzuhalten. Wir müssen das Identitätsbewusstsein und die Rolle der Ingenieure in der Gesellschaft stärker herausstellen. Ingenieurwesen ist eben nicht nur Bauplanung, sondern viel umfassender. Können bzw. wollen wir uns eine moderne Gesellschaft ohne Ingenieure vorstellen? Wir müssen Stimmung für die Anerkennung der Ingenieurleistungen machen, den Ingenieur in der Gesellschaft besser darstellen. Im Moment, wo in der Kammer etwas passiert, sind Ingenieure auch interessiert. Ist mir als junger Mann auch so ergangen. Als ich merkte, hier werde ich unterstützt, hier bekomme ich fachliche Anregung und kann mich vernetzen.
Mösch: Es ist so schwierig, Leute in Gang zu setzen. Und dann springt einer ab, der alles organisiert und die ganze Truppe fällt zusammen.
„Ingenieure neigen dazu, sich zurückzuhalten. Wir müssen das Identitätsbewusstsein und die Rolle der Ingenieure in der Gesellschaft stärker herausstellen.“
„Können bzw. wollen wir uns eine moderne Gesellschaft ohne Ingenieure vorstellen?“
„Wenn es den Begriff „Denkfabrik“ damals schon gegeben hätte, hätte er vielfach seine Berechtigung für diese Ära gehabt.“
„Es war die Stunde NULL“
Klicke hier, um Ihren eigenen Text einzufügen